Fluchtwagen

In einem Fluchtwagen begann noch nie eine Geschichte mit Happy End.

Ich sass am Steuer und wartete. Meine Hände klopften nervös auf das Lenkrad, mein Blick huschte um her. Draussen war Nacht. Regen prasselte gegen das Fenster. Ich versuchte ihn zu entdecken. War er schon wieder draussen? Wie lange sollte ich warten? Was wenn er nicht mehr rauskam? Wenn es bereits zu Ende war, bevor es überhaupt angefangen hat. Ich fluchte, zündete mir eine Zigarette an und öffnete das Fenster einen Spalt, so dass der Rauch abziehen konnte. Asche rieselte auf das Lederpolster. Es war mir egal. Dieser verdammte Idiot sollte gefälligst kommen. Warum war ich noch in diesem Auto? Warum war ich nicht längst gegangen? Wie oft hatte ich das mitgemacht? Ich wusste es selbst nicht. Es gab keinen Grund zu gehen. Er war gut zu mir und trotzdem wusste ich, dass ich gehen wollte. Ich liebte ihn, aber diese Überfälle wurden immer riskanter und ich wollte nicht ins Gefängnis, nur weil er nicht aufhören konnte. Endlich sah ich etwas. Ein Mensch kam aus dem Ladengebäuden gestürmt. Er rannte und ich erkannte, dass er es war. Sein Hemd weiss leuchtend, die schwarze Krawatte gebunden und ich startete den Motor, warf die Zigarette aus dem Fenster und da hörte ich den Schuss. Es war ein lautes Knallen und ich schloss instinktiv meine Augen. Als ich sie wieder öffnete, hatte jemand die Beifahrertür geöffnet. «Los! Fahr los verdammt» Ich drückte aufs Gaspedal und riss das Steuer rum. Mit einem Brausen krachten wir davon. In die Nacht hinein. So wie unzählige Male davor schon.  

Zwei Stunden später sassen wir an einem Tisch. Sein Gesicht von Kerzenlicht erleuchtet. Er strahlte. Ein Gefühl der Freiheit durchfuhr mich. «Ich liebe uns» sagt er, während er meine Hand hält. Nicht mich. Nein uns. Und eigentlich nicht mal uns. Sondern das Geld, das wir gemeinsam machen. Und ich konnte nicht leugnen, dass ich es nicht ebenfalls genoss mit ihm in diesem Hotel zu übernachten. Wo wir uns in den Bettlaken verlieren würden, seine Hände meinen Körper erforschen würden und während ich mich danach in die grosse Badewanne legte, er unser Geld nahm und es im Casino unter die Leute brachte. Aber an diesem Abend schien es anders zu sein. Als ich aufstand und ihn hinter mir herziehen wollte, schüttelte er den Kopf. Er hob die Hand, um auf sich aufmerksam zu machen. Eine junge gutaussehende Kellnerin trat an unseren Tisch. «Noch einen Old Fashion» Die Kellnerin drehte sich wieder um. «Es war das erste Mal, dass auf mich geschossen wurde. Im Dunkeln» er fuhr sich durch die Haare «Ich möchte das Geld heute lieber davor loswerden. Geh’ schonmal vor» Also ging ich vor. Und wartete. Allein. In diesem riesigen Zimmer. Ich nahm kein Bad. Wickelte mich stattdessen in die weiche Decke ein und wartete weiter. Aber er kam nicht. Es war das erste Mal, dass ich ohne ihn einschlief nach einem Überfall. Das erste Mal ohne seine Hände auf mir. Stattdessen berührten seine Hände einem anderen Körper. Ich wusste es in dem Moment als ich das Stöhnen aus dem Nebenzimmer hörte. Es konnte nur er sein. Schon so oft hatte ich es gehört und ich wusste, wie gut er war. Ich blickte an die Decke. An die x-förmigen Verstrebungen. Dieses Zimmer war es also. Der Moment in dem ich verraten wurde. Ich brauchte keinen Grund, ihn zu verlassen. Er war Grund genug. Aber noch war nicht der richtige Moment ihn zu verlassen. Denn ein Verräter sollte bekommen, was er verdient.

Und als ich das nächste Mal am Steuer sass und auf ihn wartete, da wusste ich, dass es das letzte Mal war. Das letzte Mal, dass ich für ihn mein Leben riskierte und das letzte Mal, dass ich ihn sehen würde. Er würde mindestens 5 Minuten brauchen, um den Laden auszurauben und wie immer hatte ich neben einer Telefonkabine parkiert, so dass ich sah, wenn jemand versuchte Hilfe zu holen. Aber dieses Mal würde es nicht eine andere Person sein. Meine Finger wählten die Nummer. Zuerst die 9, dann zweimal die 1.

Danach zitterten meine Finger. Ich weinte. Innerlich war ich zerbrochen. Aber noch musste ich stark bleiben. Noch war mein Plan nicht fertig. Ich wartete, bis ich ihn sah, wie er rannte, die Tasche in der Hand, ein Grinsen auf seinem Gesicht. Ich zwang mich ebenfalls zu lächeln. Dann startete ich den Motor. Genau wie immer. Er öffnete die Tür. «Los! Fahr los» genau wie immer. Aber es war nicht alles wie immer, denn dieses Mal würde es nur einen Gewinner geben. Während ich aus der Stadt brauste, erzählte er mir, wie viel Geld es war. Es war so viel, dass er zwei Taschen füllen musste. Die lagen auf der Rückbank und ich wusste, dass das das Schicksal es gut mit mir meinte. Ich fuhr auf das Motel zu, dass ich ein paar Tage davor im Telefonbuch rausgesucht hatte. Er blickte mich an. Ich zuckte mit den Schultern. «Wir waren früher oft in Motels» er nickte und als ich auf dem Parkplatz hielt, küsste er mich. Ich konnte nicht anders und küsste ihn ebenfalls. Er drückte mich in meinen Sitz und küsste mich noch härter. Das war nicht geplant gewesen. Aber ich wollte ihn nochmals spüren. Bevor es zu spät war. Also liess ich ihn. Genoss ihn ein letztes Mal. Ein letztes Mal seine Hände auf mir. Ein letztes Mal sein warmer Atem an meinem Ohr. Ein letztes Mal ihn in mir. Es musste schnell gehen. Ich hörte die Sirenen noch nicht, aber lange würde es nicht mehr dauern.

Danach schwitzte ich. In mir herrschte ein Sturm. Sein Lächeln tötete mich. Aber es gab kein zurück mehr. Ich liess ihn aussteigen und reichte ihm eine der beiden Taschen. «Ich komme gleich nach. Ich zieh mich nur schnell wieder an. Bestell mir schonmal einen Old Fashion» Er grinste, warf mir einen Kuss zu. Ich wartete, bis er das Gebäude betreten hatte, dann drehte ich den Schlüssel um und fuhr los. Genau wie immer. Nur dieses Mal ohne ihn.

In einem Fluchtwagen begann noch nie eine Geschichte mit einem Happy End.

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