Feminismus, US-Wahlen oder wie ein Song rund um die weibliche Sexualität Geschichte schreibt

2020 geht nicht nur dank Corona in die Geschichte ein, auch gesellschaftspolitisch ist dieses Jahr wichtig und hat Diskussionen vorangetrieben und Themen in den Fokus gerückt, die davor inmitten unseres vom Kapitalismus gesteuerten Alltags zu wenig Platz gefunden haben. Aber auch musikalisch ist Geschichte geschrieben worden und das steht in enger Verbindung mit den gesellschaftlichen Debatten, die dieses Jahr, besonders online, diskutiert wurden und am Ende sogar einen Einfluss auf das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl gehabt haben.


US-Rapperin Cardi B, sowie die aufstrebende als Grammy Newcommer nominierte Künstlerin Megan Thee Stallion haben im August mit ihrem Duo «WAP» die Spitzen unzähliger Charts erreicht, Rekorde gebrochen und Musikpreise, sowie Grammy Nominationen eingesandt. Auf der chinesischen Kurzvideo Plattform TikTok ist der Song für mehr als 15 Millionen Videos genutzt worden. Meistens von begeisterten Tänzerinnen und Tänzern, die genau wie die Interpreten selbst mit viel Energie und anzüglichen Gesten ihren Körper zum Beat und den vulgären Lyrics bewegt haben.

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«WAP» ist zu einem gesellschaftlichen Phänomen geworden und das obwohl der Text so provokativ ist wie wohl kaum ein weiblicher Mainstreamrap Song davor. Es geht um «Wet Ass Pussy» (auf Deutsch verdammt feuchte Vagina), verschiedenste Sexpraktiken und darum, was sich Cardi B und Megan Thee Stallion von ihren Sexualpartnern wünschen. Drei Minuten und acht Sekunden wird nichts anderes gerappt, dabei wird kein Blatt vor den Mund genommen, im Hintergrund klingt durchgehend «There’s some whores in this house» (Auf Deutsch «Da sind Huren in diesem Haus») und Meghan Thee Stallion lässt es sich nicht nehmen, wie für sie gewohnt, auch in diesem Song zu stöhnen. Eine Hymne auf die weibliche Sexualität und Freiheit. Von Millionen von jungen Frauen gefeiert.

Gerade das «WAP» nicht mehr bloss ein Song aus einer musikalischen Nische, sondern global erfolgreich ist und die breite Masse bewegt, zeigt einerseits wie populär Hip-Hop wieder geworden ist und den klassischen 2000er Pop von seiner Vorherrschaft abgelöst hat, andererseits auch dass es gesellschaftlich eine Veränderung gab. Dass Frauen über ihre Sexualität sprechen dürfen und dass sie selbst entscheiden, wie sich sexuell darstellen. Was letzten Endes ein Beweis für Emanzipation und ein Ergebnis von jahrelanger feministischer Arbeit ist. Denn die beiden Rapperin entscheiden genau wie unzählige andere Frauen auch, wie sie sich selbst sexuell darstellen und nehmen so Männern die Macht, sie zu sexualisieren. Eine Selbstbestimmung, die das Patriarchat bricht und Frauen wieder die Freiheit gibt, über ihren Körper zu bestimmen. Dass auch Cardi B und Megan Thee Stallion dafür Slutshaming und Kritik erhalten, ist zu erwarten gewesen, aber die beiden scheint das kaum zu interessieren. Denn solange sie mit einem Song über Sex und ihre Geschlechtsteile Musikrekorde brechen, kann ein alter, weisser, hetero Mann sich noch so sehr davon angegriffen fühlen. Zudem ist es ja nicht so, als hätten männliche Rapper jahrelang davor genau die gleichen Texte geschrieben und wären da nie so kritisiert worden, wie Cardi B selbst in einem Interview mit dem US-Radiomoderator Zach Sang betont.

Dass «WAP» diese Diskussion weiter vorantreibt und junge Frauen ermutigt, offen mit ihren sexuellen Wünschen umzugehen und damit klar zeigt, dass Frauen genauso wie Männer ein sexuelles Verlangen haben dürfen, wird oft mit dem Begriff Female Empowerment in Verbindung gebracht. Aber auch die Black Lives Matter Bewegung ist durch den Song weiter beeinflusst worden. Als zwei der wichtigsten Schwarzen Prominenten haben Megan Thee Stallon und Cardi B mit ihrem Song Repräsentation für Schwarze Frauen auf der ganzen Welt geschafft und erneut bewiesen, dass es weder einen Mann noch eine dem klassischen Weissen Schönheitsbild entsprechenden Frau braucht, um erfolgreich zu sein.

Am Ende ist «WAP» sogar ein wichtiger Bestandteil der Kampagne der Demokraten für die US-Präsidentschaftswahlen geworden. Damit hätte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung weder Joe Biden noch Cardi B selbst gerechnet. Aber tatsächlich ist durch das grosse politische Engagement der Rapperin, die ihre Fans und insbesondere die weiblichen Afroamerikaner zum Wählen ermutigt hat, auch der Song Teil der Onlinekampagne geworden, was wohl nicht zuletzt auch mit Trumps Frauenfeindlichen Kommentaren zu tun gehabt hat. Als der Sieg von Joe Biden verkündet wurde, haben tausende demokratische Wählerinnen und Wähler «WAP» auf den Strassen gesungen. Ein Sieg für die Gleichberechtigung, für die Schwarzen US-Amerikanerinnen und Frauen, die tagtäglich Benachteiligung und sexuelle Gewalt in physischer und psychischer Form erleben.

«WAP» reiht sich in die Reihe feministischer Musikwerke wie Madonnas «Express Yourself» oder Beyoncés «Run the World» ein. Provokanter, aggressiver und vulgärer als die meisten anderen Songs dieser imaginären Playlist. Aber damit ist die Debatte, weiter angetrieben und neue Wege sind geebnet worden. Denn wenn Megan Thee Stallion rappen kann, wie sie den Penis ihres Liebhaber reitet, zeigt das, dass ein Diskurs über die weibliche Sexualität im Jahr 2020 möglich ist und es gerade online akzeptiert ist, sich selbst sexuell so darzustellen, wie frau das möchte. «WAP» wird wohl kaum die Meinung jener Menschen ändern, die Frauen bisher für ihr Sexualleben verurteilen, das beweisen Hasskommentare unter den ganzen «WAP»-Videos, aber es reisst essenzielle Diskussionen an, und damit hat ein Song über die vor Lust triefenden Geschlechtsteile von Frauen nicht nur Musik-, sondern auch Gesellschaftshistorie geschrieben.

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