„Der enorme Respekt vor dem Tod ist geblieben!“ | Interview mit Martina Rutschmann

Türchen 12 von #xmaswithjosia17. Gestern habe ich die Rezension zu «Durstig» hochgeladen und heute könnt ihr ein exklusives Interview mit der Autorin hier auf meinem Blog lesen. Ausserdem könnt ihr hier ein SIGNIERTES Exemplar des Buches gewinnen.


© Peter Wick

Im Februar 2017 beim Zytglogge Verlag erschienen, Platz 1 der Bestsellerliste bei Bider & Tanner, im September mit der Lesefieber Feder 2017 ausgezeichnet; «Durstig» ist das erste Buch von Journalistin Martina Rutschmann, welche zur Zeit für die bz arbeitet. Sie hat sich ein Jahr Auszeit genommen, um ihre Debütroman zu schreiben, und das Ergebnis lässt sich wirklich sehen!

Ich habe die Autorin exklusiv im November für ein Interview getroffen und das Gespräch war wirklich sehr interessant und ich wünsche euch jetzt viel Freude beim Durchlesen des Interviews!


«Durstig» handelt vom Sterbefasten. Eine alternative zu Exit, welche bisher kaum in der Literatur aufgegriffen wurde. Wie bist du dazu gekommen, diese Thematik für dein Buch zu wählen?

Das ist ganz einfach. Mein Grossvater hat vor einigen Jahren meiner Familie verkündet, dass er sterben will mittels Sterbefasten. Wir wussten alle nicht, was es ist, haben uns alle aber etwas vorstellen können und fanden es ziemlich brutal im Gegensatz zu Exit. Er widersprach uns, Exit ginge sehr schnell und sei nur bis zu einem bestimmten Punkt selbstbestimmend, deshalb bevorzugt er die  langsamere Alternative Sterbefasten, bei welcher er wirklich bis am Ende alles selbst in der Hand hat. Diese Erfahrung mit einem mir nahestehenden Familienmitglied hat mir gezeigt, dass das kein Thema für einen Zeitungsartikel ist, welcher für einen Tag erscheint und am nächsten schon wieder vergessen ist. Deshalb habe ich beschlossen meinen ersten Roman diesem Thema zu widmen.
Journalismus. Seit vielen Jahren bist du im Tagesjournalismus tätig. Zur Zeit bist du bei der bz Basel angestellt. Hast du Unterschiede beim Schreiben des Romans im Gegensatz zum Journalismus festgestellt?

Das Schreiben fiel mir wirklich sehr leicht. Natürlich ist es eine andere Form des Schreibens. Man hat zwar eine Geschichte wie in der Zeitung mit Anfang und Ende, aber bei einem Roman gibt es da vielmehr dazwischen. Ich habe mich schnell daran gewöhnt, da ich selbst viele Romane lese und weiss, wie Romane aufgebaut sind. Besonders viel Freude hatte ich daran, ausführlicher sein zu können. Die Sprache selbst ist meine Sprache und natürlich schreibe ich für die Zeitung nüchternere Texte, als in meinem Roman, aber ich hatte wirklich nie eine Schreibblockade.

Als Journalistin hast du bestimmt auch viele Kontakte. Wie sah es bezüglich Recherche aus? Hat dir da deine Erfahrung geholfen und wie bist du vorgegangen?

Recherchieren ist mein tägliches Brot. Egal welche Form; das ist mein Beruf. Ich bin sicher schneller als andere, welche nicht so viel Erfahrung in diesem Bereich haben und habe vielleicht auch mehr Mut ganz spontan jemanden anzurufen um an Informationen zu gelangen. Trotzdem gab es Unterschiede. Ich wollte von Beginn weg einen Roman schreiben und so habe ich Interviews geführt mit vielen verschiedenen Personen. Diese diversen Interview Partnerinnen und Partner habe ich als Grundlage für einige meiner Charaktere aus «Durstig» genommen. Aber nicht eine Person für einen Charakter, sondern eine Vermischung verschiedenster Personen zu einer. Dadurch, dass ich ihre Antworten nicht mit Name in einer Zeitung abgedruckt habe, entwickelten sich diese Interviews zu spannenden Gesprächen. Zum Beispiel um Fabian, den jungen Protagonisten, zu charakterisieren, habe ich verschiedenste Interviews mit jungen Männern übers Leben geführt und das hat mir wirklich geholfen.

Das ist wirklich eine interessante Form der Personen Entwicklung, welche so wohl von den wenigsten Autoren praktiziert wird. Gelohnt hat es sich auf jeden Fall, deine Charaktere wirken absolut authentisch und lebensnah. Das erfordert natürlich viel Aufwand und Zeit. Warum hast du es trotzdem gemacht?

Wie du sagst, ging es mir darum möglichst realitätsnahe Personen zu erschaffen. Fabian zum Beispiel ist 29 und natürlich hatte ich schon mit 29 jährigen Männern zu tun, aber nicht in der heutigen Zeit. Fabian gibt es so nicht. Er ist aus vielen verschiedenen Personen zusammengewürfelt und ich denke, dass hat schon etwas mit dem Journalismus zu tun. Authentizität ist mir schon sehr wichtig und das hat zwar viel Zeit erfordert, aber ich glaube, dass es mir wirklich zu gute gekommen ist.

Kommen wir direkt zu den einzelnen Charakteren. Carl ist 94, er war und ist bis zu seinem Tod noch leidenschaftlicher Biolog. Zuerst spezialisiert auf Schildkröten, dann auf Tillandsien. Bist du selbst mit der Welt der Biologie in Berührung gekommen, dass du ihm diesen Leidenschaft gegeben hast?

Carl ist tatsächlich die einzige Figur, welche ein wenig an eine wahre Person erinnert. Ich habe die Erfahrung mit Sterbefasten gesammelt, in dem ich meinen Grossvater begleitet habe und ich habe mit ihm am Sterbebett auch noch besprochen, dass ich ein Buch schreiben will. Ich habe ihm dann auch gesagt, dass es schade wäre, wenn ich nicht aus seinem Leben schöpfen würde, um diese Figur zu kreieren, eben weil sein Leben so reichhaltig war. Er war damit einverstanden und hat gesagt, ich soll die Dinge für mich rausnehmen, welche mir gefallen. Das habe ich getan und manche Dinge habe ich dann auch erfunden. Mein Grossvater war beruflich Chemiker, aber im Herzen Biolog und seine Leidenschaft waren da eben die Tillandsien und Reisen nach Südamerika. Die Schildkröten haben allerdings nichts mit meinem Grossvater zu tun, sondern sind von einer anderen Person inspiriert.

Du hast von einem erfüllten Leben geredet und das war auch bei Carl der Grund, warum er sich entschieden hat zu gehen. Glaubst du, dass du später auch irgendwann sagen wirst: «Ich habe jetzt ein erfülltes Leben gehabt und es ist jetzt gut so» oder wirst du die Angst vor dem Tod immer noch haben? In einem andern Interview hast du nämlich gesagt, dass die Angst vor dem Tod immer noch da ist, obwohl du diesen Roman geschrieben hast.

Ja, diese Angst ist wirklich noch da, allerdings ist Angst vielleicht ein zu starkes Wort. Ich würde sagen, dass es eher ein enormer Respekt ist. Besonders die Unsicherheit, wann es denn so weit ist. Über meinen eigenen Tod denke ich nicht nach, ich denke nur manchmal, dass ich vielleicht aufhören könnte zu rauchen, damit es vielleicht noch ein wenig länger geht. Natürlich wäre es schön, ich wäre irgendwann auch so alt und in dieser Situation, aber ich weiss es nicht.

Kommen wir zum Titel: «Durstig». Kann man natürlich in Verbindung mit dem Sterbefasten bringen, aber ich glaube, dass damit ja auch der Durst nach Leben gemeint sein kann. Sehe ich das richtig?

Absolut! Das ist auch die Meinung, welche ich damit vermitteln wollte. Eigentlich wollten der Verlag und ich «Durst» als Titel wählen und der gefällt uns auch immer noch besser, aber den gibt es schon und der andere Verlag wollte nicht, dass wir den selben Titel wählen. Wir blieben dann also bei «Durstig», denn das passt meiner Meinung nach auch sehr gut. Alle Charaktere sind auf eine eigene Art durstig und ich finde es schön, dass dadurch viele Freiheiten für Interpretationen entstehen. Erschreckenderweise musste ich jedoch feststellen, dass einige Leser nach Erscheinen des Buches zuerst dachten, es würde von einem Alkoholiker handeln.

Veränderungen! Alixe wagt ziemlich viele Veränderungen, zuerst kündigt sie ihren Job, dann geht sie eine neue Beziehung ein und beschliesst einen alten Mann in den Tod zu begleitet. Bist du selbst auch sehr veränderungsmutig oder magst du es lieber, wenn alles beim Alten bleibt?

Ich bin überhaupt nicht jemand, der Veränderung wagt. Was eigentlich schade ist. Obwohl ich zur Zeit wirklich in einer Situation bin, in der ich sehr glücklich bin. Ich habe vor einem halben Jahr geheiratet, wir haben einen süssen Hund und auch sonst irgendwie alles, was ich mir immer gewünscht habe und deshalb will ich auch gar keine Veränderungen mehr. 

Besonders schön fand ich die Beziehung zwischen Marina, Rosas Tochter, und Carl, welche wunderbar zeigt, dass sie ihn auch ohne Blutsverwandtschaft wie einen Vater liebt. Warum hast du diese Beziehung in deinem Buch so hervorgehoben?

Ich wollte ganz klar die Offenheit von Carl demonstriere und zeigen, dass er ganz selbstverständlich das Kind seiner grossen Liebe genauso liebt wie eine eigene Tochter. Ich kann mir vorstellen, dass er wirklich ein guter Vater war. Ausserdem wollte ich auch zeigen, dass Familie ja nicht immer nur Blutsverwandschaft bedeuten muss, sondern auch Personen sein können, welche ich mir so aussuche und für mich genauso zur Familie gehören. Das ist das Thema welches ich hier ein wenig mit hineinbringen wollte. 

Ich schweife nun zurück zu unserer ersten Begegnung. Die Verleihung der Lesefieber Feder 2017 im September, welche du mit «Durstig» gewonnen hast. Nachdem ich das Buch nun auch gelesen habe, bin ich wirklich glücklich darüber, dass Manuela Hofstaetter dir dein Preis verliehen hast. Wenn du jetzt so zurückschaust, hat sich irgendetwas verändert?

Ich weiss es ehrlich gesagt gar nicht. Ich habe mich natürlich wahnsinnig geehrt gefühlt, aber ich weiss nicht, ob sich etwas bei den Verkaufszahlen verändert hat. Es wäre wirklich schön, aber ich habe aktuell gerade sehr wenig Zeit. Ich würde mich natürlich freuen, wenn sich etwas verändert hätte.
So und nun ist ja Adventszeit. Wir haben bald Weihnachten und wahrscheinlich sind noch nicht alle Geschenke eingekauft. Meine Geschenktipps finden sich hier. Aber mich würde es jetzt natürlich interessieren, welche Bücher du denn dieses Jahr jemanden schenken würdest.

Diese beiden Bücher werde ich als Kombi dieses Jahr ganz bestimmt einigen Freunden und Verwandten schenken

Ich danke Martina ganz herzlich, dass sie sich die Zeit genommen hat, mir geduldig meine Fragen zu beantworten. Schreibt mir doch gerne, wie euch das Interview gefällt.

2 Kommentare zu „„Der enorme Respekt vor dem Tod ist geblieben!“ | Interview mit Martina Rutschmann“

  1. Pingback: Meine Top 5 Schweizer Autorinnen & Autoren | josiajourdan.ch

  2. Was für ein tolles Interview!
    Und es ist so rührend und auch echt traurig, dass der Inhalt des Buches an einer wahren Begebenheit inspiriert ist. Ich habe echt Respekt, dass die Autorin es geschafft hat darüber einen Roman zu schreiben. Ich glaube ich hätte nicht einmal einen Satz zu Stande bringen können.

    LG Navika

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